Acrylgemälde mit Stephan Welsch

Kunst ohne Regeln – ein Experiment

Ein Künstler hat völlig andere Voraussetzungen als beispielsweise ein Elektriker. Schließt der Elektriker ein Kabel an, dann gibt es nur eine richtige Option. Weicht er davon ab, kann es böse enden. Künstlern hingegen eröffnen sich unzählige Optionen für alle möglichen Experimente. Und für solche sind wir durchaus offen. Nach einem Experiment ist man keinesfalls dümmer. Zumindest wird es den eigenen Erfahrungsschatz weiter füllen. Und möglicherweise erlangt man neue Erkenntnisse, mehr Reichweite oder man kommt dabei auf neue Ideen.

Heute möchte ich von meinem Experiment erzählen, in das ich kürzlich geschlittert bin und das sich als recht erfolgreich herausgestellt hat.
Fangen wir ganz am Anfang an. Im November letzten Jahres warf ich zum ersten Mal einen Blick in die Ateliers der Kulturfabrik Cortendorf. Ein Juwel in unserer Region. Hier wurde einem alten Fabrikgebäude Leben eingehaucht und ein Platz für Kunstschaffende gestaltet. Wer Gelegenheit dazu hat, der sollte dort unbedingt mal reinschauen. Bei meinem Besuch habe ich Stephan Welsch kennengelernt und mich für seine Kunst und seine Galerie begeistert. Ich freue mich grundsätzlich, wenn ich Kontakt zu anderen Künstlern knüpfen kann. Und so habe ich überlegt, ob es eine Möglichkeit für eine Zusammenarbeit gibt. Als ich bei einem zweiten Besuch meine Gedanken teilte, schlug Stephan ohne zu zögern vor, ein gemeinsames Bild zu malen. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Aber die Idee war genial und wurde umgehend in die Tat umgesetzt. Ein Stück Leinwand wurde von der Rolle abgeschnitten und ich ging damit nach Hause – leicht überfordert, aber auch absolut motiviert und voller Vorfreude. Die einzige Absprache, die wir getroffen hatten, war die, dass es keine Absprachen gibt. Und tatsächlich verloren wir keine unnötigen Worte. Wir kannten uns so gut wie gar nicht und das sollte zu diesem Zeitpunkt auch so bleiben. Denn das machte das Experiment erst so richtig spannend. Ich male, wenn, dann eher figürlich. Stephan, soweit ich gesehen hatte, eher abstrakt. Eigentlich gute Voraussetzungen, denn so kann etwas wirklich neues entstehen. Zwei gegensätzliche Stile, die eine Symbiose eingehen. So weit so gut. Aber was sollte ich nur malen? Es musste etwas sein, das nicht zu spezifisch ist. Etwas, das auch für Stephans Part noch alle Möglichkeiten offen lassen würde. Es sollte aber auch nichts belangloses sein.

Mich fasziniert die menschliche Körpersprache. Von unserer Kindheit an lernen wir, auf Gesichter zu achten und Gesichtsausdrücke zu deuten. Dabei wird oft übersehen, wie ausdrucksstark der ganze Körper ist. Manche Körperteile ganz besonders. Die Hände zum Beispiel. Unsere Hände sind Meisterwerke und haben unfassbar viel Ausdruckskraft. Gleichzeitig wären Hände ein Motiv, mit dem jeder Betrachter etwas anfangen kann und in das er seine Geschichte hineininterpretieren kann. Perfekt! Die Idee stand fest und wurde in die Tat umgesetzt. Mitte Januar brachte ich Stephan die halb bemalte Leinwand zurück. Er sollte den Rest erledigen. Auch er mochte die Idee mit den Händen. Aber manchmal brauchen Gemälde eine „Reifezeit“. Sie müssen eine Weile herumliegen, bevor man wieder Zugang findet und weitermalen kann. So passierte es mit diesem Bild. Stephan arbeitete Stück für Stück an dem Bild, ohne eine genaue Vorstellung, wie er es endgültig fertigstellen würde. Zack – schon war es Ende Mai und die Coburger Designtage fanden auf dem Areal der Kulturfabrik statt. Viele Besucher besichtigten die Ateliers der Künstler dort. Unser Bild lag unvollendet in Stephans Werkstatt, die durch ein Fenster von seinen Galerieräumen aus einsehbar ist. Und ob man es glauben mag oder nicht, es interessierten sich Besucher für dieses Gemälde, das da so geduldig wartete. So sehr, dass sie beschlossen, es zu kaufen. Denn offenbar entscheidet nicht immer der Künstler, wann ein Werk fertig ist. Für das Käuferpaar stand fest, das Bild ist gut, genau so, wie es gerade ist. Für mich gibt es nichts schöneres, als zu sehen, dass Betrachter sich mit dem, was ich gemalt habe, verbunden fühlen. Wenn sie spüren „Das ist mein Bild!“ und ganz eindeutig wissen, dass sie es besitzen müssen. Wir mussten also das Bild noch übergabebereit machen. Wir schnitten es zurecht und rahmten es glaslos ein, damit die Leinwandstruktur und die Rohheit des Gemäldes deutlich erkennbar bleibt. Und letztendlich waren wir uns einig: Die Käufer hatten Recht! Das Gemälde war fertig. Es war simpel und wirkungsvoll. Es war roh, ehrlich und ungeschönt. Aber auch geheimnisvoll und berührend. Es war einfach genau richtig!

Und das Bild bleibt wandelbar. Wir haben festgestellt, dass wir da ein Motiv geschaffen haben, dass kein eindeutiges „oben“ oder „unten“ hat. Das Experimentieren kann also weitergehen. Mit jeder Drehung bekommt das Bild eine andere Wirkung. Sind es sich emporreckende Hände, die voller Hoffnung nach ihrem Glück greifen? Oder sind es rettende Hände, die Hilfe von oben bieten? Ist es eine Hand, die im Begriff ist, etwas verbotenes zu tun, während die andere Hand für Besonnenheit steht und versucht, das Unglück zu verhindern? Hier zeigt sich wunderbar: Ein Gemälde ist nicht einfach ein Dekorationsgegenstand. Es ist das, was du daraus machst. Es wird lebendig durch deine Geschichte, dein Gefühl, dass es bei dir auslöst. Es ist nicht vollendet, wenn der Künstler den Pinsel weglegt. Es ist vollendet, wenn du es zu DEINEM Bild gemacht hast. Das ist nur eines der Dinge, die ich bei diesem Experiment gelernt habe. Für mich war es auch ein Startschuss. Malerei stand für mich schon länger auf dem Plan. Ich bin, was das betrifft auch nicht ganz unerfahren. Aber jetzt habe ich aufs Neue wieder so richtig Lust, leere Leinwände in ein Kunstwerke zu verwandeln, die du durch deine Interpretation mit Leben füllen kannst.

Wir wünschen den neuen Besitzern lange Freude mit ihrem Kunstwerk. Und ich danke Stephan für die echt starke Zusammenarbeit!

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